Montag, 3. September 2012

Nachsommer in Braunau

Ein Schiff wird kommen - irgendwo am unteren Inn


Das Städtchen Braunau liegt zwar am Inn (Fluss mit drei Buchstaben - bekannt aus zahllosen Kreuworträtseln). Darüber wäre also anläßlich einer völlig anderen Radreise zu berichten. Die Verbindung zur Eifel sehe man einfach im hier geborenen Massenmörder und zeitweisen Ehrenbürger. Eine mglw. seinerzeit statt gehabte Begeisterung für diesen Herrn kann die betreffende österreichische Ortschaft genausowenig wie unsere rheinische Mittelgebirgslandschaft heute noch nachvollziehen. Überall Unschuldige soweit Auge und Erinnerungsvermögen reichen.
Aber falls man schon mal den Inn abradelt, wird man doch deshalb keinen Bogen um Braunau machen. Zumal auf der anderen, deutschen Seite bloß Simbach liegt, ein keineswegs stärkerer Touristenmagnet.
Wir Radler des 21. Jahrhunderts, entstellt durch die Gnade der Spätgeburt (mit Zange!) haben Braunau jedenfalls ein besonders hochwertiges Literaturerlebnis zu verdanken. Und das kam so: Leicht ermattet von stundenlangem Inn-Damm-Strampeln stand der Sinn nach einem zünftigen Inntaler-Spezialitäten-'Nachtmahl' (um einen Ausdruck der wirklich großen inländischen Autoren aufzunehmen). Gesucht wurde also ein passabler Akropolis-Grill. Nun vermochten allerdings die im Braunauer Altststadtbereich eingeführten Gyros-Schnetzeleien vom äußeren Gesamteindruck (= Bauchgefühl) nicht restlos zu überzeugen, so dass wir uns endlich doch gen Simbach auf die heimische Uferseite wandten, wo sich in direkter Ufernähe ein Grieche mit Pfiff eingerichtet hat: mit großem lichtdurchflutetem Innenraum, wo allerlei Pflanzenbewuchs mitsamt echten fruchtbehangenen Weinreben über den Köpfen der Gäste entlangranken. Und wo sich bei guter Wetterlage trotzdem die rustikal-beschauliche Terrasse zum Aufenthalt und zur Einnahme des Tellergerichts und etlicher bayerischer Biere empfiehlt. Wo man schließlich gegen das allzu offensive Anschwirren der Mückenpein auch Mittel wie Autan und Zitronenkerzen anzubieten hat. Das Essen auch so einigermaßen ... Doch unsere Gedanken hielten sich noch mit Braunau auf:

Zur Besichtigung der Altstadt auf eigene Faust und ohne Reiseführer gibt es dort nahe den bemerkenswerten Bauwerken recht ausführliche Infotafeln zu studieren. Nach dem Vorhandensein eines Adolf-Geburtshauses haben wir garnicht erst gesucht, aber der Hauptkirche galt schon eher ein gewisses Augenmerk. Hier lasen wir u.a., dass der Schriftsteller A.Stifter in seinem Roman 'Der Nachsommer' just diese St.Stephan-Basilika zum bedeutendsten sakralen Bauwerk Ostbayerns erklärt habe (sinngemäß). Das wollten wir gerne genauer wissen.
Den 'Nachsommer' zu lesen, dürfte - auch für geländegängige Literaturliebhaber - mitnichten als eine der leichtesten Übungen gelten; deshalb befindet sich nämliches Buch seit Jahren auf unserer nach oben offenen Liste der begonnenen und irgendwie ins Abseits geratenenen Regalverstopfer. Doch motiviert dieser unscheinbare kleine Anstoß zu einem neuen Versuch. Und siehe da: mit der Seelenruhe des fortgeschrittenen Alters kann man es schaffen, jenes Werk von 750 entschleunigten Seiten mit Lust als belletristisches Faszinosum zu genießen.
Nicht darin auffindbar allerdings irgendein Hinweis oder Bezug zu Braunau. Kann sein, die Stadttouristiker berufen sich auf folgende Textstelle:
"Da steht in Grünau, hart an der Grenze unseres Landes, an der Stadtpfarrkirche ein Turm, welcher der schönste unseres Landes ist und der höchste wäre, wenn er vollendet wäre; aber er ist nur ungefähr bis zu zwei Dritteilen seiner Höhe fertig geworden. Dieser altdeutsche Turm wäre das erste, welches ich vollenden ließe."
Wäre, wäre, wäre aber inhaltlich nicht so ganz passend. Abgesehen von der - aus heutiger Sicht humorigen - Umbenennung von Braun- zu Grünau ergibt auch die Turmbeschreibung keinen Sinn. Laut Wikipedia ist der Turm der Stephanskirche nämlich bereits wesentlich früher zu Ende gebaut worden. Also brauchte auch nicht der gemeinnützige Sprecher in 'Der Nachsommer' seine Vollendung herbeizuwünschen. Er hätte höchstens die unpassende Barockhaube abreißen und durch einen 'altdeutschen' (= gotischen) Abschluss ersetzen müssen. Wahr scheint allerdings zu sein, dass sich Stifter in seiner vorübergehenden Funktion als Denkmalbeauftragter intensiv mit der Braunauer Stephanskirche beschäftigt hat und sie auch einer Geldsammlung zwecks diesbezüglicher Sanierungsarbeiten für Wert befunden, welche er auch - leider erfolglos - zu initiieren versuchte.
Und anderweitige Bezüge zu bestimmten realen Bauwerken in verklausulierter Form hat die Literaturwissenschaft in Stifters Roman tatsächlich ermittelt.

Unter dem Strich also ein inniger Dank an die kurzbeinigen Lügner von Braunau, die so arglos das zauberhafte Stifter'sche Prosawerk in heutiger Zeit wachhalten. Es ist nur ganz am Rande auch eine Liebesgeschichte, doch vor allem reizvoll und anregend für kunst- und baugeschichtlich Interessierte

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